Variable Applikation nicht nur für den Ereignisfall

Im Falle erhöhter radioaktiver Messwerte sind schnelle und zielgerichtete Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung notwendig. Für das Bundesamt für Strahlenschutz entwickelt terrestris eine modulare Anwendung, die Daten von bundesweit über 2.000 Messstellen aufbereitet und für schnelle Entscheidungen nutzbar macht.

Der Atomausstieg in Deutschland ist beschlossene Sache. Aber seit Tschernobyl, Fukushima und jüngst den Diskussionen um die Sicherheit des Atomreaktors im belgischen Tihange ist klar: Der Strahlenschutz wird uns weiter beschäftigen. Was aber ist zu tun im sogenannten Ereignisfall, wenn aufgrund eines Reaktorunfalls radioaktive Strahlung austritt? Nur schnell verfügbare und zuverlässige Informationen und Prognosen über eine radioaktive Wolke oder die Kontamination der Umwelt machen geeignete Schutzmaßnahmen möglich.

Auf Bundesebene zuständig für die Notfallvorsorge ist das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Es betreibt das integrierte Mess- und Informationssystem zur Überwachung der Umweltradioaktivität (IMIS). Die in Bonn ansässige terrestris GmbH & Co. KG hat für das BfS eine konfigurierbare Applikation entwickelt für ein optimales Monitoring der erhobenen Daten. An ca. 1.800 Messstellen, über ganz Deutschland verteilt, misst IMIS kontinuierlich die radioaktive Strahlung in der Umwelt. Hinzu kommen zahlreiche Messdaten anderer Einrichtungen, etwa des Deutschen Wetterdienstes, der Bundesanstalt für Gewässerkunde und der Landesämter für Umwelt und Natur. IMIS sammelt darüber hinaus Messdaten aus über 60 Labors sowie von Messstationen im Ausland.

Individuell konfigurierbare Anwendung
All diese Daten stellt das Geoportal für jedermann abrufbar im Internet bereit. „Damit kommen wir unserer gesetzlichen Verpflichtung nach, die erhobenen Daten der Öffentlichkeit transparent und allgemein nutzbar zu machen“, sagt Sven Burbeck vom BfS. Die neue Anwendung macht es möglich, diese Daten in je nach Bedarf konfigurierbare Karten und Diagramme zu integrieren. Ein Klick genügt, um mit einer zusätzlichen Funktion die Karte zu modifizieren: z.B. durch Maßstabsveränderungen und Zoomfunktion, Filter- und Editierfunktionen für die Ortssuche oder Zeitreihen für gemessenen Niederschlag und deren Aktualisierung.

„Eine Karte sagt mehr als tausend Bilder“, erläutert Till Adams, Geschäftsführer von terrestris, die Aufgabe. „Es ging nicht darum, statistische Bilder zu erzeugen. Vielmehr führen wir Daten in einer interaktiven Karte zusammen. Damit lassen sich die Informationen entsprechend individueller Fragestellungen darstellen.“

Das BfS nutzt die entwickelte Software insbesondere zur Erledigung seiner Aufgaben im Bereich des Notfallschutzes, setzt Teile der Applikation darüber hinaus jedoch auch ein, um die Informationen für jedermann abrufbar im Internet bereitzustellen (https://www.imis.bfs.de/geoportal/).Mit dem Geoportal leistet das BfS einen Beitrag, behördlich erhobene Daten transparent darzustellen, zu veröffentlichen und dadurch allgemein nutzbar zu machen.

Verarbeitung einer vielfältigen Datenmenge
Mit IMIS überwacht das BfS permanent die Radioaktivität in der Umwelt. Etwa alle 20 Kilometer steht eine Sonde, im Bereich von Kernkraftwerken ist das Sondernetz dichter gespannt. Jede Messstelle misst permanent die Ortsdosisleistung. Im Normalfall ist dies die natürliche Strahlenbelastung aus Radionukliden in Luft und Boden sowie die kosmische Strahlung aus dem Weltall.

Einzelne Werte sind für eine Einschätzung unbrauchbar. Benötigt werden Daten über längere Zeiträume, die unmittelbar verfügbar sein müssen, um im Ereignisfall eine Kontamination schnell erfassen und die zu erwartende Strahlenbelastung abschätzen zu können. Für die notwendigen Messwerte können die Sonden alle 10 Minuten abgefragt werden. „Dies führt zu einer riesigen vielfältigen Datenmenge, die wir nun in kürzester Zeit mehrdimensional in Karten und Charts darstellen können“, so Ulrich Rothstein, Projektleiter bei terrestris. Eine radioaktive Wolke lässt sich damit in Echtzeit beobachten.

Neben der Visualisierung und den Filterfunktionen erfüllt die Anwendung eine weitere wichtige Anforderung: Sie bietet eine Druckmöglichkeit. Jede Karte lässt sich in eine PDF-Datei umwandeln und somit in ein druckbares Dokument überführen. Eine wichtige Voraussetzung für behördliche Entscheidungen, die dauerhaft nachvollziehbar und gerichtsfest sein müssen.

Geo-Infrastruktur mit Open Source
Das Projekt ist im Rahmen des radiologischen Notfallschutzes auch international ausgerichtet. Die erhobenen Daten werden unmittelbar auch mit den Landesbehörden und Behörden im benachbarten Ausland sowie der EU ausgetauscht, deshalb ist es möglich mit der WebGIS-Applikation auch die Messergebnisse der anderen Behörden zu visualisieren.

Um sein System zur Überwachung der Radioaktivität weiterzuentwickeln, setzt das BfS auf Open Source. Für die Entwickler bei terrestris bedeutet dies, nicht einfach eine neue Software zu entwickeln, sondern die neue Applikation in bestehende Open Source Strukturen des BfS zu integrieren.

Für die Umsetzung nutzten die Entwickler Open Source Komponenten wie OpenLayers zur Darstellung der Daten im Webbrowser. Ebenso GeoServer für die Verarbeitung der geografischen Daten und ortsbezogenen Informationen sowie MapFish Print für das Drucken der Karten als PDF. Außerdem kamen GeoNetwork open-source und GeoExt zum Einsatz.

Zusammenarbeit als Wissenstransfer
Gesetzliche Neuregelungen und sich wandelnde Anforderungen an die Nutzerfreundlichkeit sorgen dafür, dass die Applikation stetig weiterentwickelt werden muss. Mit der Entwicklung der Software ist die Kooperation daher nicht abgeschlossen.

„Neue Fragestellungen rund um die zu verarbeitenden Daten tauchen auf, die gelöst werden müssen. Entsprechend eng und vertrauensvoll ist die Zusammenarbeit mit dem Bundesamt“, sagt Ulrich Rothstein. „Der Code wird fortgeschrieben, die Software gepflegt und optimiert. Unsere Aufga-be schließt auch Entwickler-Schulungen beim BfS ein. Insofern begreifen wir unsere Arbeit als Wissenstransfer, von dem auch die Öffentlichkeit profitiert.“

So kann die Applikation, wie alle Open Source Lösungen, auch von anderen Interessierten, Behörden oder Unternehmen, die sich mit ähnlichen Fragestellungen befassen, genutzt und weiterentwickelt werden.